Das Magazin der Zeit bringt anlässlich der Einzelausstellung im Hamburger Kunstverein eine Bildstrecke des Fotografen, Werbers und Designers Daniel Josefsohn. Unter dem etwas bierbiederen Titel „Die Welt mit Humor sehen“ ist da ein Querschnitt aus verschiedenen fotografischen Projekten des Künstlers zu sehen. Vieles ist gut gemacht, wirklich beeindruckend aber sind die Portraits von jüdischen Soldaten („Jewing Gun“) und die Serie, in der Josefsohn Menschen an weltweit bekannten locations mit Star Wars Stormtrooper-Masken posieren lässt. Der Effekt dieses Kunstgriffes ist erstaunlich. Als eine Art visueller V-Effekt anonymisieren die Masken die Personen, die sie tragen, verleihen ihnen aber in Hinblick auf die Reihe eine unheimliche Identität. Ob in Guantanamo Bay, auf dem Tiananmen oder an der Klagemauer in Jerusalem (so informieren uns die Legenden) – es scheint, als ob über alle Unterschiede der Situationen hinweg eine fremde Macht sich der Protagonisten bemächtigt hätte.

Absolut entlarvend ist diese Maskierung jedoch in der Hommage, mit der Josefsohn zwei Fotos des deutschen Aktfotografen Helmut Newton nachgestellt hat. Das erste Foto nimmt Bezug auf eine Aufnahme Newtons aus dem Jahr 1981. Es zeigt über einen grossen Wandspiegel den Fotografen Newton bei der Arbeit, zwei Modelle sowie daneben sitzend seine Frau June, die das shooting mit kritischem Blick begleitet. Im Unterschied zu Newton, der sich über seine Kamera beugt, schaut Josefsohn in seiner eigenen Version ins Bild – sonst sind die beiden Fotos bis in die Pose und Geste des Modells hinein identisch.

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Das zweite Fotos nimmt Bezug auf eine Arbeit mit dem Titel „Sie kommen“ von 1981. Auch hier haben wir eine ähnliche Situation: bis in die Kopfstellung hinein hat Josefsohn die Vorlage Newtons übernommen – der ganze Unterschied liegt in der verfremdenden Wirkung der Stormtrooper-Masken, die Josefsohn den nackten Frauen übergestülpt hat. Der Effekt dieser einfachen Massnahme ist – nochmal – erstaunlich. Die Anonymisierung der Gesichter der Frauen tilgt den letzten Rest Individualität an ihnen, zugleich verleihen die Helme den übergrossen nackten Körpern eine martialische Note. Oder besser: unterstreichen diese. Denn in gewisser Weise ist das alles schon bei Newton da. Auch dessen „Big Nudes“ strahlen im glänzenden Harnisch ihrer Nacktheit, sie erscheinen in der ganzen Perfektion von Körper und fotografischer Inszenierung eigentümlich unverletztlich – übergross, entrückt, ausserirdisch. (Bereits der Titel bei Newton liest sich wie die Ankündigung einer Invasion von Ausserirdischen.)

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Aber wie ist das möglich? Wir sind gewohnt Nacktheit mit Verletzlichkeit, Ausgesetztsein oder Schutzlosigkeit zu assoziieren. Auf dieser Linie hat auch Alice Schwarzer in ihrem bekannten Emma-Artikel von 1993 argumentiert. Newton inszeniere seine weiblichen Modelle in Opferposen für den Blick des „Herrenmenschen“, der sich an den dargebotenen Objekten seiner eigenen Übermacht vergewissere. Aber diese Lesart übersieht, dass den weiblichen Protagonisten von Newtons Universum gerade nichts unterwürfiges anhaftet. Wenn hier überhaupt etwas Übermenschliches ins Spiel kommt, dann wird es von Newton „weiblich“ interpretiert.

Silvia Bovenschen hat dies in einem präzis beobachtenden und überaus lesenswerten Spiegel-Artikel (1994) herausgestellt. Und sie liefert auch einen Hinweis auf den Grund für die anhaltende Faszination, die von Newtons Fotografien ausgeht. Was Newtons Visionen des weiblichen Körpers so attraktiv macht, ist, dass er den Körper von der düsteren, schwülen und lastenden Atmosphäre jener polymorphen Erotik befreit, die sich in der Kunst etwa bei Hans Bellmer oder Marcel Duchamp, in der Literatur bei Georges Bataille oder Henry Miller findet. Daran ändert auch der klassische „Verruchtheitsplunder“ aus den Arsenalen der Sado-Maso-Praktiken nichts, mit dem Newton seine Visionen möbliert.

Das Geheimnis von Newtons Frauen liegt also in dieser paradoxen „Nacktheit“, die ihre Körper wie eine glänzende Rüstung umgibt. „Nackt“ sind sie vor allem deshalb, weil sie das kalte Auge der Kamera von allen Assoziationen an menschliche Unzulänglichkeiten, Deformationen oder den Zeichen des Verfalls befreit. Nackt meint bei Newton: Der von seinem human touch entkleidete Körper. Die Arbeiten von Josefsohn – dem die Kontroverse um Newtons Fotografien bestens vertraut  ist – machen diesen Zusammenhang nicht nur sichtbar, sie verleihen ihm auch noch eine Wendung ins Ironische. Denn der von seinen humanen Dimensionen befreite Körper ist – allen positiven Merkmalen zum Trotz – auch ein geschlechtsloser. Die zelebrierte Augenfreude ist im Grunde eine Freude am Spielzeug. So lautet denn auch der Titel dieser Arbeit ganz folgerichtig: „Lieber Helmut, lieber George, ich wollte auch mal mit der Eisenbahn spielen, Berlin 2009“.

http://www.zeit.de/kultur/kunst/2010-04/fs-daniel-josefsohn

http://www.aliceschwarzer.de/publikationen/aliceschwarzer-artikel-essays/kernthemen/pornografie-frauenhass/newton-kunst-oder-pornografie/

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13683769.htmlhttp://www.danieljosefsohn.com